Die Wanderarbeiter aus Ostwestfalen & Lippe

Leinenhopser in der Grafschaft Lippe

 Burg Sternberg
Burg Sternberg

Der Handel begann als Tauschhandel nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Heuerleute sich in Holland als Torfstecher und Grasmäher verdingten und sich durch Verkauf von überzähligen Leinenprodukte ein Zubrot verdienen wollten. Die Holländer nutzten das schwere, feste Leinen als Segeltuch für ihre Segelschiffe und für wetterfeste Kleidung. Einige Wanderarbeiter stellten schnell fest, dass sich mit dem Handel einfacher und mehr Geld verdienen ließ, als mit der schweren landwirtschaftlichen Arbeit. Es entwickelte sich ein von Hausierern und fliegenden Händlern („Leinenhopser) durchgeführter lebhafter Handel. So war zum Beispiel der Leinenhändler Hermann Niemann im lippischen Norden tätig. Die Anfänge des Niemanschen Leinenhandels lassen sich bis ins 1800 Jahrhundert zurückverfolgen.

1706 Beantragte der verwitwete Hopfenpflücker -Hoppenlöcker- Hermann Niemann die Entlassung aus der Leibeigenschaft und die Erlaubnis zum Leinenhandel, um seine Aussicht auf Wiederverheiratung zu verbessern. Er gibt an „mit den Linenhandel, weil ich sonst keine Profession gelernt, mein kärglich Brodt zu erwerben“. Seine Herkunft ist nicht mit Sicherheit zu klären, er wahr wahrscheinlich der Sohn des Soldaten Peter Niemann, der aus Schlesien stammte und im Dreißigjährigen Krieg nach Lippe gekommen war. Anschließend hatte dieser 22 Jahre lang der lippischen Garnison auf der Burg Sternberg angehört und war nach der Auflösung vom Grafen zusammen mit anderen Soldaten „auf der Linderhufe“ in der nähe der Burg angesiedelt worden.

Trotz einiger Bedenken der Behörden wurde Hermann Niemann die Erbfreiheit und der Leinenhandel gewährt. 1709 heiratete er in zweiter Ehe Anna Catharina Nieweg, mit der er vier Kinder hatte.

Lippes - Vertrags- und Konzessionssystem -

Die Hopser waren durchaus nicht überall gerne gesehen. Es kam oft vor, dass die örtliche Kaufmannschaft sie als unwillkommene Konkurrenz ansah und ordnungspolitische Regelungen verlangte. Die Wirtschafts- und Finanzbehörde des Landes Rentkammer“ erließ darauf hin ein Vertrags- und Konzessionssystem.

Nach einem Verzeichnis von 1786 besaß Hermann Niemann z.B. einen Kontrakt für den „Mit-Linnenhandel“ in den Kirchspielen Talle, Hohenhausen und Silixen (Amt Varenholz), den er sich mit dem Kaufmann und Amtschreiber Wippermann in Langenholzhausen teilen musste. In der Bauernschaft Almena (Amt Varenholz) sowie im gesamten Amt Sternberg, war Niemann zu, „privativen“ alleinigen Leinenhandel berechtigt. Mehrfach versuchte er, Konkurrenten an der Ausweitung ihrer Geschäfte zu hindern: 1760 beschwerte er sich über das angebliche Monopol des Schnitger in Beetzen und 1786 erhob er Einwände gegen die Absicht des Leinenhändlers Knippig aus Rintel, sich in Silixen niederzulassen.

Wohnhaus von Georg Wilhelm Niemann; erbaut 1897
Wohnhaus von Georg Wilhelm Niemann; erbaut 1897

Etablierung der ansässigen Händler

 Die ländlichen Leinenhändler gehörten zusammen mit den Krügern (Gastwirten) zu den konzessionsabhängigen ländlichen Gewerbetreibenden in der frühen Neuzeit, die durchaus Gewinne erzielen konnten. Schnitger in Betzen soll um 1800 z.B. Leinwamd im Wert von 100 000 Talern aufgekauft haben.

Sie besaßen aber meistens kleinbäuerliche Stätten mit relativ geringem Landbesitz, die - in manchmal krassen Widerspruch - zu den tatsächlichen Einkommensverhältnissen ihrer Besitzer standen!

Einigen Wanderhändlern gelang es in den jeweiligen Orten ansässig zu werden und in die Kaufmannschaft aufzusteigen.

Georg Wilhelm Niemann Sohn des Leinenhändlers Hermann Niemann übernahm z.B. 1788 das väterliche Geschäft und war als Leinenhändler überaus erfolgreich: Allein im Jahr 1790 hatte er nach eigenen Angaben grobes Leinen im Wert von 46.000 Taler an Bremer Kaufleute geliefert; außerdem größere Mengen nach Hamburg und Holland verkauft. Hermann Niemann verstarb im Jahr 1800, seine Witwe besaß noch bis 1802 den „Linenhandelkontrakt“ für die Vogtei Hohenhausen (Amt Varenholz) und das ganze Amt Sterenberg. Wann der Niemannsche Leinenhandel eingestellt wurde, müsste noch durch eingehender Forschung geklärt werden.

Kaufmann Johann Barthold Tölke in Oerlinghausen

Leinenhandlung und Bleicherei J. B. Töleke (1767-1868) mit Filialen in Turin und Mailand

1764 erhielt Johann Barthold Tölke in Oerlinghausen gegen eine Abgabe von 2 ½ Talern, die später auf 2 Pistolen erhöht wurde, die Handelskonzession für den Leinenhandel. Tölke, der früher selbst Hopser war, gab den Hausierhandel auf, kaufte das Leinen in größeren Mengen ein und ließ es dann durch eine Anzahl von Hopsern, denen ein eigenes Betriebskapital fehlte, vertreiben. Diese brachte das Oerlinghauser Leinen nach Hamburg, Amsterdam, Kopenhagen und anderen bedeutenden Handelsplätzen, besuchten damit die großen Messen und Märkte in Leipzig, Braunschweig usw., ein Hauptabsatzgebiet war Italien.

Nach einer Schätzung des Amtmanns Meyer aus dem Jahr 1773 kaufte Tölke „wenigstens jährlich für 20.000 Taler sein Linnen in hiesiger Dorfschaft auf“. Wenige Jahre später waren daraus 30.000 und am Ende des 18. Jahrhunderts 100.000 Taler geworden. Bei solchem Umsatz wurde er ein wohlhabender Mann, und man kann verfolgen, wie er durch Ankauf von Häusern und Grundstücken seinen Besitz dauernd vergrößerte.

Tölke starb im Jahr 1802. Das Geschäft wurde von seinem gleichnamigen Sohn und seinem Schwiegersohn Kemper fortgeführt. 1820 geriet der Bleicher Christian Lillteich, aus Rietberg stammend, mit seiner seit 1818 bertriebenen Mangel in Oerlinghausen in finanzielle Schwierigkeiten. Tölke kaufte die Mangel.

Der Leinenhandel erlosch mit dem Tode von Johann Wilhelm Ludwig am 28. Mai 1869. Im selben Jahr wanderten die beiden Söhne, Heinrich und Karl Tölke in die USA aus. Sie trafen von Bremerhafen mit dem Schiff „Smit“ in New York am 23.September 1869 ein. Beide ließen sich in Cook, Illinois nieder.

Leinenhandlung Gebr. Becker Oerlinghausen

Marktplatz in Darmstadt um 1900
Marktplatz in Darmstadt um 1900

Filialen in Darmstadt, Würzburg, Nürnberg und München

Durch ihren früherem Hopser, dem Wehmkötter Friedrich Becker und dessen Bruder Franz entstand Tölke und Kemper seit 1802 eine unbequeme Konkurrenz.

Die Gebrüder Becker führten anfangs ihren Handel, ohne einen Kammerkontrakt zu besitzen. Sie wurden deshalb von Tölke beim Gogericht angezeigt, das sie bestrafte und mehrere Kisten versandfertiger Leinwand mit Beschlag belegte. Selbstverständlich bemühten sie sich nun, ebenfalls eine Konzession zu erhalten, hatten damit aber erst kein Glück, anscheinend, weil Amtmann Rötteken ihr Gesuch nicht unterstützte. In ihren Eingaben an die lippische Regierung führten sie aus, es läge nicht im Interesse der Allgemeinheit, wenn ein Handelszweig in einer Hand läge und somit monopolisiert würde.

Tölke dagegen führte ins Feld, er würde von Oerlinghausen nach Bielefeld ziehen, wenn noch weitere Konzessionen erteilt würden. Nach vielem Hin und Her machte man die Erteilung der Konzession für den Leinenhandel davon abhängig, dass die Brüder Becker ein Vermögen von 3000 Talern nachweisen mussten. Als ihnen dies mit Hilfe der Bielefelder Leinenhändler Weber, von Laer und Niemann. gelang, wurde ihnen endlich im Jahr 1804 die Konzession erteilt. (das Einkommen der Weber bewegte sich auf ca. 100 Rtl. der des Spinner auf ca. 30 Rtl. Jährlich).

Carl David Weber in Oerlinghausen

Wohnhaus von Carl Weber  1885
Wohnhaus von Carl Weber 1885

Weber stammte aus dem Bielefelder Leinenpatriziat David Christian Weber. Am 9. Juli 1850 heiratete er Marianne Elenore Niemann mit der er fünf Kinder hatte. Seine Ausbildung führte er in einem Bremer Handelshaus durch. Später wurde er Mitinhaber des Handelshaus Weber, von Laer & Niermann in Bielefeld. Zeitweilig arbeitete er für den Betrieb in Spanien. Die Wiedereinreise nach Preußen wurde ihm einige Zeit später verweigert. Über die Gründe gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Version geht davon aus, dass sein Versäumnis, sich 1849 dem preußischen Militär zu stellen, der Grund war. Andere Angaben sprechen davon, dass Weber bereits bei seiner Abreise nach Spanien die preußische Staatsbürgerschaft aufgegeben hätte. Stattdessen zog er in das Fürstentum Lippe.

 

Carl David Weber & Co.

In Oerlinghausen wurde er 1864 Gründer der Firma Carl Weber & Co. nach dem in Bielefeld das Handelshaus Weber, von Laer & Niemann 1861 planmäßig liquidiert wurde. Im Gegensatz zur mechanischen Leinenherstellung, hielt Weber am Verlagssystem fest. Er stellte dabei den Weber und Spinner Betriebsmittel zur Verfügung, mit denen diese in Heimarbeit für ihn produzierten.

Weber meinte, das handgearbeitete Leinen sei qualitativ hochwertiger als das Fabrikleinen und es gebe daher dafür trotz des achtmal höheren Preises weiterhin einen Markt. Die Garne bezog er aus Irland. Die in der Bielefelder Bleiche behandelten Stoffe wurden anschließend zu hochwertigen Produkten wie Tischdecken, Bettwäsche und ähnlichem verarbeitet und zu einem beträchtlichen Teil bis nach Amerika exportiert.

 

1890 ließen Bruno Müller ein prächtiges Haus im gotischen Stil bauen: Die "Müllerburg".
1890 ließen Bruno Müller ein prächtiges Haus im gotischen Stil bauen: Die "Müllerburg".

Etwa um 1875 wurde Bruno Müller als Teilhaber in die Firma aufgenommen. 1876 heirate Müller die dritte Tochter von Carl David Weber.

Nach seiner Rückkehr von langen Auslandsreisen wurde Carl Weber der einzige Sohn von Carl David Weber Teilhaber der Firma. Der Weberpark ist nach seinen Angaben gestaltet worden.

Die Söhne von Bruno Müller, Georg und Richard Müller, traten nach 1900 beide in die Firma ein. Sie hatten sowohl Hochschulen wie auch Webschulen besucht und brachten neue Ideen ins Unternehmen.

1903 begannen sie mit dem Bau der mechanischen Weberei, in welcher neben Leinen auch Halbleinen hergestellt werden sollten. Die mechanische Herstellung erlebte 1903 eine neue Blütezeit, und das Unternehmen expandierte. In den 1960er Jahren kam es zur weltweiten Textilkrise. 1973 musste der Betrieb in Oerlinghausen schließen, und 300 Beschäftigte wurden arbeitslos oder wanderten in andere Berufe ab. Auf dem Grundstück der Firma an der Webereistraße ließ die Dr. August Oetker KG neue Fabrikationshallen für ihre Produkte errichten.

Carl David Weber starb 1907. weitere Informationen