Die Wanderarbeiter aus Ostwestfalen & Lippe

Aufbruch nach Holland

Mit der Ankunft in Bantam auf Java brach Kapitän Cornelis de Houtman 1596 das portugiesische Gewürzmonopol in Ostindien
Mit der Ankunft in Bantam auf Java brach Kapitän Cornelis de Houtman 1596 das portugiesische Gewürzmonopol in Ostindien

Ende des 16. Jahrhunderts begann die Blüte Amsterdams beziehungsweise der Niederlande. Das Land entwickelte sich zur führenden See- und Handelsmacht in Europa.
Unfreiheit gegenüber dem Landesherren und jede Art von Frondienst waren hier inzwischen unbekannt, und die Niederlassung und Heirat waren im Gegensatz zu Deutschland frei.
200 Jahre lang konnte die Niederländer ihre Führungsposition im Welthandel behaupten. Die Menschen wanderten in die Küstenstädte ab, und man war bald auf Immigranten "die Hollandgänger" angewiesen, um die hoch entwickelte Landwirtschaft am Laufen zu halten.

Hollandgang

Hollandgang nannte man den alljährlichen Zug tausender Wanderarbeiter aus Ostwestfalen & Lippe zur Saisonarbeit in die Niederlande. 

1650 finden Saisonarbeiter aus Paderborn und Lippe Erwähnung. Einen entscheidenden Zuwachs erfährt die Bewegung durch den starken Bevölkerungszuwachs ab 1670. Die Krise des Leinengewerbes im 18. Jahrhundert löste den Höhepunkt der Wanderarbeit aus. Die Anzahl der Hollandgänger wird zwischen 1675 und 1875 auf durchschnittlich 20.000 im Jahr berechnet. Es ist – zumindest für die damaligen Verhältnisse - eine Massenbewegung.

Hauptsächlich waren die Hollandgänger Heuerleute, also besitzlose Landarbeiter, die auf einen Zuverdienst angewiesen waren. Aber auch Kleinbauern, Handwerker, Knechte, Mägde und Bauernsöhne waren darunter. Sie fanden in den Niederlanden Arbeit als Grasmäher, Torfgräber und als Seeleute beim Heringsfang und Walfang sowie auf den Handelsschiffen der Vereinigten Ostindischen Kompagnie (VOC).

Auch im handwerklichen Bereich gab es Beschäftigung für Ziegler, Stuckateure, Maurer und Zimmerleute. Andere zogen als Soldaten in die Niederlande und Frauen fanden dort Arbeit als Dienstmädchen oder Arbeiterinnen in den Leinenbleichereien.

Die Wege der Hollandgänger

Wegen der ausgedehnten Moorgebiete entlang der deutsch-niederländischen Grenze waren die Hollandgänger gezwungen, feste Routen zu benutzen. Schon in den Heimatdörfern schließen sie sich zu Gruppen zusammen. Die Strecke von 200 bis 300 Kilometern legen sie zu Fuß zurück. Eine nördliche Route verlief durch einen engen Korridor zwischen dem Dollart und dem Bourtanger Moor nach Groningen und Westfriesland.

Die Hollandgänger aus dem Niederstift Münster, Südoldenburg, dem Raum Diepholz, dem Stift Osnabrück und der Grafschaft Lingen trafen sich an der Emsfähre bei Lingen. Von dort aus zogen sie durch die Grafschaft Bentheim entlang der Vechte bis Hasselt oder Kampen und dann mit dem Schiff hinüber nach Amsterdam oder in die Provinz Noord-Holland.

Die Grasmäher und Torfstecher

Grasmäher in Holland
Grasmäher in Holland

Die Grasmäher, in Holland spöttisch auch „Hannekemaaier" (= Johann der Mäher) genannt, zogen hauptsächlich in die Weidegebiete von Nord-Holland und Friesland. Sie stellten sich in den Dienst der wohlhabenden holländischen Milchbauern, den "Mienheers". Die Grasmäher selbst nennt man "Pickmäijer" oder "Vennkers". In kürzester Zeit haben sie das Heu zu mähen und zu wenden. Ihre Saison dauerte, je nach Witterung, fünf bis sieben Wochen. Saisonbeginn war die Woche nach Pfingsten. Die Arbeit war außerordentlich anstrengend und dauerte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, im Juni also bis zu 16 Stunden. Akkordarbeit war die Regel.

Torfstecher
Torfstecher

Die noch anstrengendere Arbeit der Torfgewinnung fand meist in abgelegenen Gebieten statt, wo man sich nur schlecht verpflegen konnte, unzureichende Unterkünfte zur Verfügung standen und mangelhaft hygienische Bedingungen herrschten. Die Löhne wurden erst zur Mitte der Saison ausgehandelt und erst zu deren Ende ausbezahlt. Dadurch erhielten die Torfunternehmer einen erheblichen Vorteil gegenüber den unorganisierten Arbeitern.

Lippische Ziegler

Lippische Ziegler, Oldenburg um 1900
Lippische Ziegler, Oldenburg um 1900

Die Spezialisierung ursprünglich agrarischer Saisonarbeiter aus Lippe auf die Produktion von Ziegeln und Dachpfannen erfolgte im 17. Jahrhundert. Innerhalb weniger Jahrzehnte monopolisierten sie den Arbeitsmarkt für Ziegler in Ostfriesland und im benachbarten niederländischen Friesland, im 19. Jahrhundert dann in Schleswig-Holstein und in Jütland. Lippische Ziegler gab es bis zum Ersten Weltkrieg in ganz Nordwesteuropa und im südlichen Skandinavien, zum Teil auch weit darüber hinaus (Russland, Österreich-Ungarn).

 

Die Bedeutung der lippischen Ziegler lässt sich daran ermessen, dass 1897 in den 12.500 gemeldeten Betrieben der Ziegelei-Berufsgenossenschaft in Deutschland etwa 277.000 Arbeiter tätig sind, darunter allein rund 13.000 lippische Ziegler und rund 900 lippische Meister. Noch um 1910 arbeiten rund 30 Prozent der lippischen Männer saisonal als Wanderziegler in der Fremde.

Obwohl die Bedeutung des Ziegler-Gewerbes im 20. Jahrhundert abnimmt, wird noch in den "Lippischen Punktationen" von Ende 1946 festgeschrieben, dass das Land Nordrhein-Westfalen dazu beitragen soll, die lippischen Wanderarbeiter sesshaft zu machen, da dies "eine unsoziale Erscheinung" sei.